Jüdische Kulturtage
Seit 2017 finden in Aschersleben jährlich die Jüdischen Kulturtage statt. Der Hintergrund dieser ist die einst aktive jüdische Gemeinde, die in Aschersleben existierte.
In Geschichte und Gegenwart kann die jüdische Kultur als ein wertvoller und unverzichtbarer Bestandteil der deutschen Gesellschaft erlebt werden. Mit einem abwechslungsreichen Programm aus Musik, Lesung, Theater, Dokumentationen, Führungen u. v. m. möchte die Aschersleber Kulturanstalt einen Beitrag leisten dem Vergessen entgegenzuwirken. Die Kulturtage sollen dazu dienen die Erinnerung an die Vielfalt des jüdischen Lebens, an Kultur und Geschichte wachzuhalten. Sie laden zur Teilhabe und Begegnung ein, und sollen die beeindruckende Vielfalt der jüdischen Tradition zeigen.
Wichtige Unterstützung bei den Veranstaltungen der Jüdischen Kulturtage leistet das Evangelische Kirchspiel Aschersleben und der Arbeitskreis „Geschichte jüdischer Mitbürger in Aschersleben“.
Jüdische Kulturtage Aschersleben 2024
03.10. bis 09.11.
Das Programm:
Do, 03.10. - Di, 22.10.
#StolenMemory
Wanderausstellung mitten auf dem Marktplatz
Zur Veranstaltung
Do, 03.10. - Di, 22.10.
Erinnerungswerkstatt
zur #StolenMemory - Ausstellung im Museum mit Begleitprogramm
Mehr Informationen
So, 13.10. l 17 Uhr
Jukebox.Jewkbox
Popsongs (un)bekannter Jüdischer Musiker
Zur Veranstaltung
Di, 15.10. l 19 Uhr
Vortrag Studienfahrt Auschwitz
Schüler des Gymnasium Stephaneum berichten
Zur Veranstaltung
Do, 17.10. l 8 Uhr + 10:30 Uhr
Workshop „Jüdische Traditionen“ für Grundschulen
Zur Veranstaltung
So, 20.10. l 14 Uhr
öffentliche Stolpersteinführung
Zur Veranstaltung
So, 20.10. | 17:30 Uhr
Kinofilm "Tango Shalom"
Zur Veranstaltung
Mi, 23.10. + Do, 24.10. | 9 Uhr
"Was liegt da auf der Straße?"
Stolpersteinführungen für Grundschulen
Zur Veranstaltung
Di, 29.10. l 9 Uhr
Stolpersteinführung für weiterführende Schulen
Zur Veranstaltung
So, 03.11. l 9 Uhr
Tagestour nach Bernburg
Besuch des Jüdischen Friedhofs und der Gedenkstätte für Opfer der NS-„Euthanasie“
Zur Veranstaltung
Fr, 08.11. | 19 Uhr
Gina Pietsch in „Hedy Kiesler Lamarr – Leben, Labour, Leinwand“
Ein Monodrama von Wilhelm Pellert mit Bardo Henning am Klavier
Zur Veranstaltung
Sa, 09.11. | 17 Uhr
Taschenlampenführung
"Orte der Erinnerung"
Zur Veranstaltung
NEU in diesem Jahr
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#NieWiederIstJetzt
Eröffnungsrede der Leiterin des Museums | Stadtarchivs | Kriminalpanoptikums, Frau Trisha Cisielskie, anlässlich der Eröffnung der Jüdischen Kulturtage Aschersleben 2024, 03.11.2024
Aschersleben 1942. Worthstraße 12. Nachbarn beobachten, wie Adolf Conitzer nur mit Hut und Mantel bekleidet und einer Decke über dem Arm in einen Transporter geladen wird. Der einstige Geschäftsführer des Kaufhauses Conitzer und Co. in der Breiten Straße wird in das Ghetto Theresienstadt gebracht und stirbt dort 1943.
Familie Tworoger verarmt, weil durch die Arisierung jüdischer Geschäfte der Arbeitsplatz des Familienvaters Ludwig wegfällt. Ohne finanzielle Mittel kann die Familie nicht fliehen. Am 13. April 1942 werden Ludwig und Berta Tworoger mit ihrem 4-jährigen Sohn Manfred und ihrer 1-jährigen Tochter Ruth über Magdeburg ins Warschauer Ghetto deportiert.
Max und Bertha Badt, ein betagtes Ehepaar, glauben selbst dann noch an das Gute, als sie zwangsweise in ein Altersheim eingewiesen werden. Am 29. Oktober 1942 werden sie - gemeinsam mit 98 anderen Jüdinnen und Juden in das KZ Theresienstadt deportiert. Dort sterben nur wenige Monate nach ihrer Ankunft.
3 wahre Geschichten von Menschen aus Aschersleben, die zeigen, wie furchtbar der Terror der Nationalsozialisten wirkte. Und es sind nur drei Geschichten von so vielen mehr. 17,5 Millionen Menschen haben die Nationalsozialisten ermordet. Darunter 6 Millionen Juden, aber auch politische Gegner, Homosexuelle, Kranke. Menschen, die einfach nicht in den rassenbiologischen, „arischen“ Typus der Nazis passten. 17,5 Millionen. Eine unfassbare Zahl, die uns heute noch sprachlos macht.
Als die Nationalsozialisten 1933 unter Adolf Hitler die Macht ergriffen, war auch das Schicksal vieler Jüdinnen und Juden in Aschersleben besiegelt. Die Menschen, die einst zum alltäglichen Stadtbild unserer Stadt gehörten, die beliebte Kaufhäuser betrieben haben, als Rechtsanwälte, Bankiers oder Gärtner tätig waren, wurden systematisch enteignet, immer weiter ihrer Rechte beraubt, vertrieben, deportiert, ermordet. Die einst so blühende jüdische Gemeinde ist ausgelöscht worden und bis heute nicht wiedererstanden.
Überall in Deutschland, aber auch in Nachbarländern, vor allem in Polen, wütete der Hass des NS-Regimes, wurden Menschen in Konzentrations- und Vernichtungslagern inhaftiert, zur Zwangsarbeit genötigt, unter unwürdigsten Bedingungen eingepfercht und kaltblütig ermordet. Als die Alliierten die Lager befreiten, blieben in vielen Lagern zahllose persönliche Gegenstände zurück: Taschenuhren, Ohrringe, Fotografien, Ausweisdokumente. Alle diese Dinge waren den Inhaftierten abgenommen worden. Manchmal, viel zu oft, sind sie das einzige, das von den Menschen geblieben ist.
Ein Teil dieser Gegenstände konnte schnell den Betroffenen selbst oder ihren Angehörigen zurückgegeben werden. 5000 Umschläge mit persönlicher Habe aber blieben zurück.
Anfang der 1960er Jahre gründete sich der International Tracing Service. Seine Aufgabe bestand darin, die Gegenstände - auch Effekten genannt - mit umfassenden Dokumentbeständen abzugleichen und so Nachfahren und Angehörige ausfindig zu machen, um das persönliche Hab und Gut wieder zurückzugeben. Die Umschläge voller Gegenstände stammen dabei meist aus den Lagern in Neuengamme und Dachau. In anderen Lagern, vor allem in Auschwitz, Sobibor, Treblinka, wo vor allem Jüdinnen und Juden inhaftiert waren, wurden die persönlichen Besitztümer der Gefangenen meist direkt von den Nazis verkauft. Objekte, die sich einzelnen Personen zuordnen lassen, sind aus diesen Lagern also meist kaum erhalten.
Die intensive Arbeit des International Tracing Service zeigte schon bald Erfolg und es konnten mehrere hundert Effekten zurückgegeben werden. In den 1980er Jahren schlief diese wichtige Arbeit aber zunehmend ein - mit den damaligen Mitteln waren nur noch wenige Nachfahren auszumachen, zumal der Großteil der Effektenbesitzerinnen und -besitzer aus Polen und der Sowjetunion stammte.
Mit einem neuen Konzept und unter dem Namen Arolsen Archives wurde 2016 der Kampagne neues Leben eingehaucht: Die Suche nach - es war ja einige Zeit vergangen - Nachfahren der Verfolgten lief nun unter dem Titel #StolenMemory über das Internet - mit der Hilfe von Freiwilligen, von Hobby-Forschern, Jugendgruppen oder Schulklassen. Weltweit sind nun die Namen der Verfolgten sichtbar und die Chancen, die Effekten endlich zurückzuführen, sind so hoch wie nie.
Seit dem Projektstart 2016 konnten so schon 900 Familien ausfindig gemacht werden - #StolenMemory ist ein voller Erfolg.
Um diese Arbeit sichtbar zu machen, um die Geschichten der Verfolgten zu erzählen und um Sie einzuladen, an der Rückgabe der Effekten mitzuarbeiten, wurde 2020 mit Mitteln der Fördermaßnahme „Kultur im ländlichen Raum“ der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien die erste Ausstellung im Übersee-Container geschaffen. Dieser Container hier ist schon Nummer vier, denn die Ausstellung wandert sehr erfolgreich nicht nur durch Deutschland, sondern auch durch die angrenzenden Nachbarländer. Auch die US-Botschaft in Deutschland und Polen sowie das belgische Außenministerium finanzieren die Container mit.
Im Container wird von fünf Beispielen berichtet, in denen Effekten erfolgreich wieder an Nachfahren übergeben werden konnten, und fünf Fällen für diejenigen Besitztümer, bei denen noch Nachfahren gesucht werden. Die Beispiele sind international und stammen von Menschen aus Polen, Russland, Belgien, die Niederlande, Ungarn, Spanien, Griechenland, Slowenien und Deutschland.
Auch auf die historischen Hintergründe wird eingegangen. Besonders prägnant ist - meiner Meinung nach - eine Tafel, auf der die verschiedenen Symbole und Farbcodes des KZ-Häftlinge dargestellt werden: Ein pinkes Dreieck für Homosexuelle, ein rotes für politische Gegner. Und alleine daran wird deutlich, dass Menschen, die nicht in das System der Nationalsozialisten passten, ihnen nicht mehr waren als Symbole, Zahlen und Nummern.
Halten Sie beim Besuch des Containers Ihr Smartphone bereit, denn die QR-Codes führen Sie auf die Website der Arolsen Archives. Dort können Sie sich kurze Interviews von Nachfahren anschauen, die Effekten zurückerhalten haben. Die Website mit ihrem reichhaltigen Angebot ist übrigens preisgekrönt - 2021 wurde sie mit dem „Grimme Online Award“ in der Kategorie Bildung und Wissen ausgezeichnet.
Im Sonderausstellungsraum im Museum haben Sie dann die Möglichkeit, noch tiefer in das Thema einzutauchen. Wir haben aber keine Sonderausstellung geschaffen, sondern eine Erinnerungs-Werkstatt. Diese Erinnerungswerkstatt richtet sich an Gruppen, aber auch an alle anderen Besucherinnen und Besucher:
Das speziell für Jugendgruppen und Schulklassen entwickelte Begleitprogramm wurde von uns so aufgearbeitet, dass auch Sie als Einzelbesucher an verschiedenen Stationen die Leidenswege weiterer Verfolgter nachvollziehen können. Und mehr noch: Hier können Sie auch aktiv werden und über die Sozialen Medien diese Menschen mit ihrer Geschichte zeigen - und wer weiß, vielleicht ist dies ja die Verbindung zu einer Familie, die ihre Vorfahrin oder ihren Vorfahren wiedererkennt.
An einem Tablet haben Sie die Möglichkeit, auf die Datenbank „Every Name Counts“ zuzugreifen. Diese Datenbank archiviert 30 Millionen digitalisierte Dokumente - Stammkarten von Häftlingen des Konzentrationslagers Gusen in Österreich, die Auswandererkartei aus Bremen und Suchaufträge einer Vermisstenkartei. Diese 30 Millionen Dokumente geben Hinweise auf 17,5 Millionen Menschen. Was der Datenbank jedoch noch fehlt ist die Verknüpfung der Namen mit den Dokumenten. Hier kommen wieder unzählige Freiwillige ins Spiel. Ganz ohne große Kenntnisse und technisches Know-how kann jede und jeder dabei helfen, die Dokumente digital zugänglich zu machen, indem ganz einfach Namen und Daten abgetippt werden. In nicht einmal 5 Minuten haben Sie so ein Dokument für die Suche in der Datenbank zugänglich gemacht.
Wir bieten Ihnen aber noch weitere digitale Möglichkeiten: In einer Audiogalerie wurden erstmals 19 Geschichten von jüdischen Einzelpersonen und Familien hörbar gemacht. Die Tafeln wurden in einer gemeinschaftlichen Aktion zusammen mit Carola Anton vom Arbeitskreis „Geschichte jüdischer Mitbürger“ und Radio hbw angefertigt. Und sie sollen nicht in der Ausstellung bleiben, sondern können gerne auch an anderen Orten gezeigt werden. Liebe Carola, an dieser Stelle ist wohl Zeit, dir einmal Danke zu sagen. Dein jahrelanger Einsatz für das Museum, deine Unterstützung bei so vielen Ausstellungen, Projekten und verrückten Ideen, nicht zuletzt die Umsetzung der Tafeln, das Schreiben der Texte, die Recherche der Biografien, selbst das Einsprechen ist dein Verdienst. Wir möchten dir ganz herzlich Danke sagen!
Ich danke Anne Bremer, die die Idee hatte, die #StolenMemory-Ausstellung im Rahmen der Jüdischen Kulturtage zu zeigen.
Ich danke meinem Team, dass nicht nur bei der Gestaltung der Erinnerungswerkstatt geholfen hat, sondern in den kommenden drei Wochen auch dafür sorgt, dass der Container und das Museum täglich von 10:00 Uhr bis 18:00 Uhr für Sie geöffnet sein können.
Ich danke dem „Arbeitskreis Geschichte jüdischer Mitbürger“ für die Unterstützung der Ausstellung durch die Recherche zu enteignetem jüdischen Mobiliar in Aschersleben.
Ich danke Radio hbw, vor allem Clemens Tobias Kral und Matthias Marx für die technische Umsetzung und die freundliche Kooperation. Die Inhalte der Audiogalerie bleiben dauerhaft auf der hbw-Seite verfügbar.
Ich danke den Polizistinnen und Polizisten, die auf uns und auf den Container ein wachsames Auge werfen.
Ich danke Jack Daniel Wolf für diese schöne musikalische Untermalung.
Ich wünsche uns allen bedenkliche und informative Jüdische Kulturtage 2024!